vom Weltverbessern, Entrümpeln, Konsumverzicht und Lebensglück ...

mein Blog vom Entrümpeln, Konsumverzicht, Ausmisten, Downshiften, Minimalismus oder so :) Bis zum Ende des Jahres sollen es 1.000 Teile weniger sein!

Donnerstag, 30. August 2012

Wiedersehen mit dem Gewehr

Heute habe ich noch ein paar Sonderschichten einlegen müssen um meinen Entrümplungs-Dreisprung durchziehen zu können.
Ich begann wieder in dem Schrank im Schlagzeugzimmer und wühlte mich durch ziemlich viel Papier, das ich nicht mal eben zu Altpapier erklären und entsorgen konnte, denn es waren Gemälde meines Sohnes und ich verbrachte viel Zeit damit zu grübeln, wann er das wohl gemalt hatte und was es sein sollte.
Ziemlich viele Dinos.
Mein Sohn war immer eher ein Aktionskünstler, der ganze Romane malte, die man natürlich nur verstehen konnte, wenn man ihm beim Malen zusah.
Der Held betritt das Blatt Papier und geht hier lang, dann kämpft er dort, dann kommt er in einen Wald - insgesamt waren diese Bilder immer Rundwege/Episoden eines Heldenepos in dem viel gekämpft wurde, wobei der Held Tiere immer rettete und sich mit ihnen anfreundete, auch wenn sie ihn erst angriffen.
Die Bilder ähneln alle Schatzkarten.
Es gibt auch klassische Bilder mit Haus und Sonne drüber oder so - aber richtig ausgelebt hat er sich in seinen skizzierten Geschichten.
Ich habe sehr viel in eine Mappe gepackt und aufgehoben.

Manchmal kostet das Entrümpeln einen auch viel Kraft, statt immer nur befreiend und lebensbejahend zu wirken. In Momenten zB, in dem man zwischen all den Bildern eine Postkarte findet. Die Karte hatte uns Oliver zusammen mit seinem Opa geschrieben, der leider nicht mehr lebt.
Dann steht man da und ist von jetzt auf gleich nicht mehr liebevoll lächelnde Mutti, sondern Halbwaise. Ein armes, vaterloses Etwas mit erhöhtem Kaffebedarf.

Drei Blätter weiter wird man vom glücklichen Single zu der Frau, die eine glückliche Familie gesprengt und den Kindern den Vater genommen hat. Da kann man sich mit dem Ex noch so gut verstehen. Eine Scheidung ist immer der handfeste Beleg eines gescheiterten Traumes.
Im Kram zu wühlen, bringt unverhofft den einen oder anderen kleinen Zeitzeugen ans Licht und es tut gut, wenn man direkt nach dem Entrümpeln erst einmal eine Runde mit den Hunden in den Wald geht oder seine Seele sonst wie lüftet und die Gespenster unter dem Bett des Gewissens verjagt.

Unter all dem Papier verborgen, finde ich dann "das Gewehr" und muss lachen.
Das Gewehr markierte bei mir sehr schön den Unterschied zwischen theoretischer und praktischer Mutterschaft.
Wir waren in einem großen Karnevalsgeschäft in Köln um Michaela ein Kostüm zu kaufen, was damals nicht einfach war, da sie sehr genaue Vorstellungen hatte.
Wenn ich mich recht erinnere, wollte sie wie eine magersüchtige Bauchtänzerin aussehen. Da der Karneval in eher kalten Tagen gefeiert wird, wollte sie mehr Haut zeigen, als gesund war und auch sehr viel mehr Taille, als an ihrem Kinderkörper vorhanden war.
Wir waren also sehr gut beschäftigt, als plötzlich Oliver mit einem riesigen Gewehr vor mir stand.
"Kaufst du mir das?"
Schallend lachend, schlug ich ihm das aus dem Kopf.
Eher friert die Hölle zu, als dass ich ein Spielzeuggewehr, Kriegsspielzeug oder einen echten Panzer kaufe.
Naja, immerhin haben wir bis heute keinen echten Panzer gekauft.
Oliver - damals etwa 7 Jahre alt - schlich sich und wir probierten weiter Kostüme an.
Später - viel später - stand Oliver wieder vor mir.
Nun kreidebleich mit tiefen, dunklen Rändern um die Augen - mit beiden Armen das Gewehr an sich drückend.
Ich weiß bis heute nicht, wie er das mit der Blässe und den dunkel geränderten Augen immer hinbekommt, aber es macht jedes mal tiefen Eindruck auf mich.
Ein zweites Mal mit dem Gewehr aufzukreuzen, kostete ihn sichtlich viel Mut und ich begriff, dass dieses Gewehr wohl wichtig war.

Ich lästere gerne über Mütter, die ihren Kindern bei einem Schulfest mit einem "wir sind Vegetarier" ein Tofu-Würstchen in die enttäuschten Hände drücken und begriff, dass "wir" evtl. auch nicht alle Pazifisten waren.

Ich lachte und stellte eine absurd lange Liste an Bedingungen auf, die Oliver alle, alle, alle akzeptierte.
Nicht auf uns zielen, nicht auf unsere Haustiere, Nachbarn oder überhaupt jemanden zielen ... etc.
Ansonsten würde ich das Gewehr umgehend verbrennen.
Jawohl.
Das führte dazu, dass ich das Gewehr in den folgenden Jahren selten sah.
Und es soeben in seine Erinnerungskiste räumte.
Schmunzelnd.
Denn nach einem mütterlichen "Nein", hat er es noch öfter geschafft, ein Thema - mit neuen Argumenten und nach etwas Zeit, noch einmal auf den Tisch zu bringen.
So gesehen war es wohl richtig und wichtig, dieses schreckliche Ding zu kaufen.

Danach nahm ich eine Riesenkiste vom Dachboden mit herunter und packte den Inhalt in eine kleinere Kiste um. Das war schnell gemacht.
Da dort mein Sohn seine Rennbahn verstaut hatte und sie seither nicht mehr benutzt hatte, habe ich die kleinere Kiste nun etwas sichtbarer auf einen Schrank im Schlagzeugzimmer gestellt.
Bei schlechtem Wetter könnte man die Rennbahn ja doch mal wieder aufbauen.

Das war so trügerisch schnell erledigt, dass ich frohgemut ins Büro stapfte und begriff, dass der "Werkzeugschrank" dran war.
Boah ... das hat gedauert.
Ich habe erst - wie geplant - ein Regal auf dem Dachboden dazu ausgeräumt und dann das Werkzeug sortiert.
Alles was ich nicht kannte und was auch in keinem beschrifteten Behältnis war, habe ich nun schlicht entsorgt, denn sollte ich es je brauchen wüsste ich eh nicht, dass ich es habe.

Beim Räumen entdeckte ich zu meiner Schande noch eine Kiste mit Büchern - lacht mal - die ich scheinbar alle noch nicht gelesen habe.
Das ist echt dekadent ...

Auf dem Stapel für den Tauschcontainer sind nun 2 Bücher, die ich definitiv auch nicht lesen möchte, eine sehr uncoole Computertasche ... mittlerweile gibt es Rucksäcke mit Laptop-Fach und immer wenn ich meinen Sohn bitte, seinen Laptop noch zusätzlich in diese Tasche zu packen, guckt er, als hätte ich ihn aufgefordert, ein Kondom anzulegen, bevor er das Haus verlässt.

Zwei original verpackte Ikea-Hängeregaldinger, jede Menge Haken, ein hässliches Kissen und ein kleiner blauer Kinderkleiderbügel.

Ächz

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