Was soll ich sagen?
Baujahr 1967 habe ich Eltern, die den 2. Weltkrieg noch in Erinnerung haben,
hatte ich Großeltern, die wir - bis zum Mindestumtausch - in allen Ferien, später dann nur noch im Sommer in der DDR besuchten
und eine Großmutter, die bei uns wohnte.
Diese Mischung aus ständigen Erzählungen in Sachen Flucht, Not, Angst, Bomben, Vertreibung, Mangel und Verlust - dazu das häufige Erleben von stundenlangem Anstehen oder Geschäften mit leeren Regalen in der DDR, führte zu einer Grundeinstellung, die das Wegwerfen schwer macht.
Verwandte von mir hatten zB ein Kleidergeschäft. Da sie aber oft keine Ware hatten, war ich lange davon überzeugt, dass sie Kleiderbügel verkauften, die leer in den Schränken hingen (ja, da war ich noch seeeehr klein :)
Achtlos,
Wegwerfgesellschaft,
das kann man noch brauchen,
wer weiß, wozu das einmal noch gut ist?
...
Dagegen stand die dauernde Freude über "Schnäppchen" UND die absolute Unfähigkeit meiner Angehörigen, Dinge wegzuwerfen.
So konnte meine Familie zwar nichts wegwerfen, konnte aber a) vieles kaufen und sah b) in mir als damals jüngstem Familienmitglied jemanden, der immer alles brauchen konnte, da ich ja das Küken war.
Die mit der 1. neuen Wohnung, für die ich rein gar nichts kaufen musste, so ertrank ich in einer Kramlawine all der Dinge, die meine Lieben gerne loswerden wollten und für die ich dann auch noch dankbar sein sollte.
Natürlich kaufte ich dennoch neue Sachen in modischen Farmen und Formen und bewahrte den gebrauchten Krempel aber immer gut auf - für schlechte Zeiten ...
Als meine Schwiegereltern dazu kamen, wurde dies nicht besser.
Ich erinnere mich an den Tag, als meine liebe Schwiegermutter für uns eine wundervolle Lampe in Form eines Wagenrads mit dicken bauchigen Gläsern anschleppte, die ein Nachbar - warum auch immer - in den Sperrmüll gegeben hatte.
Die war doch noch gut!
Erstmals schaffte ich es, die Annahme zu verweigern.
Was hauptsächlich daran lag, dass meine Schwiegermutter ein Schatz war und nie irgendwas verübelte, während meine eigene Familie mein Gewissen wie ein Trampolin zu benutzen wusste, wenn ich mir "zu gut war" für ihre Sachen.
Die Wagenrad-Lampe hängt übrigens noch immer im Wohnzimmer meines Schwiegervaters - immerhin:
die ist doch noch gut!
Ja, und ich arbeite daran, meine innere Verpflichtung den Dingen gegenüber (und den Menschen, die sie mir "angetan" haben) abzulegen - genau wie meine Konsumfreude.
Merke: Sachen sind auch weiterhin wunderschön, wenn man sie NICHT kauft.
Beim Bummeln hört man andere öfter Sachen sagen, wie:
ja, die Farbe ist nicht so schön, aber für den Preis kann ich das doch nicht hängen lassen!
Doch! Kannst du!
Denn das Teil wird ewig die popelgrüne Bluse sein und nicht mehr das unwiderstehliche Schnäppchen, sobald du bezahlt hast!
Und sie wird ungetragen ewig "noch gut" sein.
"Wie neu!"
Und Platz im Kleiderschrank kosten.
Und Deine Zeit.
Naja, immerhin gibt es mittlerweile Ebay ...
Und so dämme ich mittels kompletten Konsumverzicht die Flut des Neuen ein
und trage andererseits alles ab, was mich belastet.
Ulkig ist, wie gern ich nun die Tür der Abseite öffne, die ich zuletzt entrümpelt habe.
Nichts von dem, was ich da entsorgte, fehlt mir.
Im Gegenteil - mein Herzchen hüpft freudig, wenn ich den klaren, übersichtlichen Raum sehe.
Ich kann also davon ausgehen, dass mich der zugekramte Raum ständig belastet hat, auch wenn ich das gar nicht wahrhaben wollte.
Aber stimmt, wenn ein Techniker kam, pflegte ich schon im Voraus immer darauf hinzuweisen, dass wir keinen Keller haben, was den zugestellten Zustand des Räumchens erklären sollte.
Den bis oben hin voll gestapelten Dachboden ließ ich dafür unerwähnt (aber den räume ich auch noch aus :)
Heute nahm ich mir den Schrank vor, in dem die Wasseruhr verborgen ist.
Der Schrank neigt auch dazu, vollgestopft zu werden und ich konnte sehen, dass die Dinge, die man in einen Schrank mit Wasseruhr stopft, mit der Zeit NICHT schöner werden.
Prima!
Das macht das Wegwerfen gleich einfacher!
Für 2 kleine Wärmflaschen, ein Handwaschmittel und einen magischen Unterwegs-Fleckenstift halte ich die Familientradition hoch und beglücke damit meine Tochter.
Sie ist gerade ausgezogen und kann die Sachen doch sicherlich gut brauchen!
Die sind ja noch gut!
:)
Den Rest habe ich als Müll erkannt und entsorgt.
49.989 Gramm vorher + 1.800 Gramm neu - 51.789 Gramm entrümpelt
Hallo,
AntwortenLöschenich kenne deinen blog noch nicht lange, aber ich liebe ihn schon jetzt! Du schreibst einfach toll - so lebendig und witzig! Werde deine entrümpelung mit begeisterung verfolgen!
Lieben Gruß
Inga
Super. Vor allem, dass Du die Knackpunkte so genau triffst. Die (vermeintliche) Verantwortung gegenüber den 'edlen, es gut meinenden Spendern', nein sagen lernen / können. Das lerne ich auch immer noch daran .....
LöschenKonsumverzicht ist gut. :-)
Liebe Grüsse
suchathe